Ramsenthaler lebte einige Jahre in München, doch er konnte diese Stadt und ihre Bewohner nie so recht leiden. Ähnlich wie Oskar Panizza:
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Panizza22: Panizza beschimpft die Münchner
Am 8. August 1896 wird Panizza aus der Haft entlassen. Er
fährt nach München, Freunde holen ihn vom Bahnhof ab. Man versammelt sich in
Panizzas Wohnung, um die Entlassung zu feiern. Doch wie soll es weitergehen? Man
hat ihm ja früher schon empfohlen, in die Schweiz zu gehen. (Vgl. Post Nr. 18)
Darüber unterhält er sich mit Freunden und Bekannten. Letztlich ist es wohl
Ludwig Scharf (1864 – 1939), einer der 12 Scharfrichter, der ihn darin
bestärkt, nach Zürich zu gehen, ja sogar die bayerische Staatsbürgerschaft
aufzugeben. Am 26. Oktober 1896 wird er aus der bayerischen Staatsbürgerschaft
entlassen. Zuvor muss er aber noch 5,92 Mark zahlen, die er den Behörden
schuldig ist. Am 28. November
beantragt er die Aufenthaltsgenehmigung für Zürich, die ihm am 17.
Februar 1897 gegen eine Kaution von 1200 Mark erteilt wird, allerdings vorerst
nur bis zum 31. Dezember. Im selben Jahr veröffentlicht er in Zürich als
Broschüre einen Text, der in der Heimat wie eine Bombe einschlägt: „Abschied
von München. Ein Handschlag“. Nun ja, Bombe, das ist vielleicht etwas
übertrieben, denn es war damals, wie es heute ist: Für die Schriften und
Aktivitäten der Literaten interessiert sich nur ein kleiner Prozentsatz der
Bevölkerung, eine kleine Gruppe. Doch da wirkte Panizzas „Handschlag“ zumindest
wie ein Paukenschlag.
Diese gerade mal vierzehn Seiten umfassende Schrift beginnt
ganz harmlos, wie ein Brief an Freunde: „Meine lieben Münchner! [...] Setzt
Euch her zu mir! Wir wollen ein bisschen Konzil halten; ein süß-vertrauliches,
liebes Konzil.“ Panizza hat diese Schrift in der Schweiz unter dem eigenen
Namen veröffentlicht, doch spätestens jetzt wusste jeder, der sich für
Literatur interessierte, wer der Autor war: ‚ein liebes Konzil’... Nun folgt
eine Suada von Beschimpfungen, die sich gewaschen hat. Generaltenor: Er wirft
de Münchnern ihre „geistige Versumpfung“ vor. Die Münchner Bevölkerung bestehe
ja nur aus Bierbrauern und Metzgern bzw. aus Biertrinkern und Fleischfressern.
„Wehe, wer Euch [den Münchnern] zumutet, Gedanken zu verdauen! Ihr zerhackt und
zermetzgert ihn in der entsetzlichsten Weise.“ „Feindselig schlosset Ihr Euch
immer ab gegen alles, was Geist bedeutete. Es war Eure einzige Feindschaft,
diese aber unerbittlich.“ Und nun geht Panizza die Geschichte durch und
schildert, wie die Münchner immer wieder gegen den Geist und seine Vertreter
vorgegangen sind. Und (wie immer bei Panizza) wütet er auch gegen den
Katholizismus, gegen seinen Heiligen- und Marienkult. Die Seele der Münchner
sei aus der „römischen Kloake“ gespeist worden. ‚Katholisch sein heißt so viel
wie dumm sein.’ Auch wenn er alles andere als ein Wagnerianer ist: Hier muss
Wagner herhalten als einer, der von den Münchnern vertrieben wurde. „Seine
verminderten Septakkorde waren Euch viel zu sächsisch, sein Profil zu
protestantisch, seine Stirn viel zu keck und frei“. Er lässt auch die Münchner
zu Wort kommen: Sie hätten sich gebessert. Doch er hält gleich dagegen: „Ihr
habt von Büchner und Voltaire gerade so viel gelesen, dass Ihr zu der
Erkenntnis gekommen seid: direkt ausrotten, verbrennen oder in der Isar
ersäufen kann man heute die Protestanten nicht mehr wie in den Jahren 1519 –
1521.“ Wieder spricht Panizza nicht von seinem eigenen Schicksal. Aber mit den
folgenden Sätzen meint er natürlich auch sich selbst: „Und so habt Ihr jede
freie geistige Bewegung bei Euch erstickt. Kommt eine neue Literatur, eine
Literatur, die, wie in jüngster Zeit, auf die feinsten Fühlfäden in der
menschlichen Natur spekuliert, trampelt Ihr mit Euren derben, bairischen,
eisenbeschlagenen Gebirgsschuhen auf ihr herum. Kommt ein neues Theater und
bittet Euch um das feinste Lauschen Eurer Seele, reißt Ihr die Mäuler auf und
speit Gift und Galle auf das, was, wie Ihr wohl wisst, hundertfach über Euch
und Euren trübäugigen Katholizismus erhaben ist.“ Panizza kennt in seinen
Beschimpfungen kein Maß und Ziel. Und das soll sich in den nächsten Jahren noch
steigern...
(Alle Zitate aus einem
Nachdruck der Schrift in: Oskar Panizza, Die kriminelle Psychose, genannt
Psychopathia Criminalis... München.
Verlag Matthes & Seitz. 1985. S. 225 – 238.)