Samstag, 30. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber (Forts.)

Ein schaler Geschmack blieb aber immer zurück. Und, was das Traurigste war: all diese Beziehungen währten nicht lange. Julius tat alles, um dies zu ändern. Er konsultierte auch das Sechste und Siebte Buch Mosis, dieses Buch der Magie und Volksmedizin, das auch heute noch im Bayreuther Umland Verwendung finden soll. Darin steht das folgende Rezept, um „unfehlbare Liebe einzuflöszen“:
„Am Tage vor dem Tage St. Johannis pflücke man, ohne an diesem Tage bis dahin das Mindeste genossen zu haben, gerade in dem Augenblick vom Sonnenuntergange, 13 Stengel von dem Kraute Esula campanula. Man trockne sie, nicht am Feuer, nicht an der Sonne, sondern im Schatten und Nachts im Mondschein. Sobald sie trocken sind, verwandle man sie in staubfeines Pulver, und menge dazu etwas ebenso fein gestoßenen grauen Ambra; dieses Pulver trage man 13 Tage und 13 Nächte auf dem Herzen, und suche dann irgend einen Weg, etwas davon der Person, deren Liebe man gewinnen will, in Speisen oder im Getränke beizubringen. Der schönste Erfolg wird nicht lange auf sich warten lassen.“
Auch das war vergebens. Eine der Damen musste Julius sogar ins Klinikum bringen, nachdem sie nach einem allergischen Anfall (Esula campanula vertrug sie nicht) fast gestorben war.

Freitag, 22. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber (Forts.)

Ach, im Grunde aber sind sie doch ziemlich triste, diese Weibergeschichten, dachte Julius. Zumindest hier in Oberfranken. Wenn ich da an meine Mainzer Zeit denke. Als ich im Bitsch-Keller in der Altstadt eigene Fastnachtslieder vorgetragen habe. Leider alles verloren gegangen. Bis auf diesen Refrain:
Obbe rum
un unne rum
un mittenei
alles ist einerlei!
Mach dir darum keine Sorgen:
Auf das Heute folgt ein Morgen.
Ja, damals waren meine Stirnlappen so richtig aktiv. Und alle fanden’s klasse.
Und dann ging’s zur Sache, in diesem Keller. Beim Rheingauer Riesling blieb kein Höschen trocken...
So was hier in Bayreuth? Undenkbar.
Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Diese Faschingsparty in diesem Haus in Destuben. Open House. In allen Räumen. Auch im gemütlich eingerichteten Gästezimmer. Lang ist’s her...

Samstag, 16. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber (Forts.)

Nach München fuhr er auch mit Lieselotte... Wie war das noch? Kennen gelernt hatte er sie in der Brückenschenke. Sie stand am Tresen und rauchte Mentholzigaretten, die sie sich gar nicht leisten konnte. Sie stammte aus einer armen Familie, war ja nur Studentin, studierte die Didaktik des Leidens an der Bayreuther Universität. Noch am selben Abend landete er in ihrem ziemlich heruntergekommenen Zimmer in der Richard-Wagner-Straße... In diesem Augenblick wurden Julius’ Stirnlappen aktiv:
Lieselotte Lumpenhündchen
hatte so ein schmales Mündchen
doch mit diesem Mündchen...
Aber schon hatte er sich wieder in der Gewalt und schrieb gelassen: Die ganze Sache dauerte nicht lange. In München war sie auf einmal verschwunden und ist nie wieder aufgetaucht. Höchst wahrscheinlich hatte sie sich einem Musiker des Zirkus, den sie am Abend zuvor besucht hatten, angeschlossen. Aber heute noch dachte er immer wieder an diesen Abend in München und an ihr Mündchen...

Montag, 11. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber (Forts.)

Was Agathe nicht wusste, war, dass Julius eine Kartei angelegt hatte. Eine Kartei zu allen seinen Beziehungen, aber auch zu Frauen, die ihn in seiner Detektei aufgesucht und ihm aus ihrem Leben berichtet hatten. Für die meisten war eine Art Therapeut gewesen. Natürlich hatte er alle Namen und Fakten leicht verändert, und über all diese Frauen wird in der dritten Person berichtet. Zum Beispiel über Linda Zobel:
Als Linda Zobel, jäh aus dem Schlaf auffahrend, sich im Bett aufrichtete, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wie viel Uhr es war und wie lange sie schon geschlafen haben mochte. Das Zimmer war von milchigem Mondlicht erfüllt. Die aufrecht sitzende junge Frau, der eine Flut dunkelbraunen Gelocks auf die schmalen Schultern herabfiel, merkte jetzt, dass ihr Herz wie rasend hämmerte. Was war geschehen? Linda fröstelte. Vor dem Fenster stand der Herbst. Der nackte Ast eines schon ganz kahlen Kastanienbaums hob sich vom Mondlicht ab. Wieder drang die Frage auf Linda ein: Was war geschehen? Was hatte sie geweckt?
Langsam begannen nun endlich ihre Gedanken zu arbeiten. Habe ich geträumt? Fragte sie sich misstrauisch. Aber nein! Kein Traum! Ein leises Geräusch war es gewesen, ein Geräusch wie schleichende Schritte und geflüsterte Worte. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das bleiche Dämmerlicht. Sie konnte alle Einzelheiten im Zimmer unterscheiden. Dort an der Wand hing das Bild des Vaters im feierlichen, schwarzen Rahmen. Solange Linda denken konnte, hing dieses Bild da. Sie meinte, die strengen, dunklen Augen des ernsten und verschlossenen Mannes auf sich ruhen zu fühlen wie die eines lebenden Menschen...
Ja, ja, erinnerte sich Julius. Das war die Geschichte mit dem starken Vater, der mit seiner Tochter ein vielleicht zu inniges Verhältnis pflegte. Mit der ständigen Angst vor ihm, von der ich sie erst einmal befreien musste. Dann aber... Die erste Nacht verbrachten sie in einen Hotel. Nein, nicht in Bayreuth. Dort hätte man sie erkennen können. Sie fuhren nach München ins Hotel Vier Jahreszeiten. Julius fuhr auch sonst immer wieder mal nach München, um dem Bayreuther Provinzmief für ein paar Tage zu entkommen.

Samstag, 9. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber

Aber es gab tatsächlich eine Elsa in seinem Leben: Elsa P., und zu ihr natürlich ein Gedicht, sogar ein Sonett:

Elsas Verbot

Du hast verboten mir, von deinen Küssen
Etwas der Welt im Liede mehr zu sagen,
Du hast mir als Geheimnis aufgetragen
Die Liebeslust, von der wir beide wissen.

Und alles, alles, was mit deinen süßen
Geliebten Lippen du in schönen Tagen
Mir in das Herz als Segen eingetragen,
Tief in der Seele soll es bleiben müssen.

Do wie, wenn uns der Lenz bescheint die Hügel,
Ein Körnlein, das ich still ins Erdreich senke,
Bald aufgesprossen ist zur vollen Blume;

So löset, Elsa, wenn ich dein gedenke,
Mein Glücksgeheimnis seine schönen Flügel
Und wird ein lautes Lied zu Deinem Ruhme.

(Hierzu ist allerdings wieder anzumerken, dass Ramsenthaler dieses Gedicht auch abgeschrieben hat. Es stand ursprünglich in der von Georg Friedrich herausgegebenen Anthologie „Bunte Blätter“, Stuttgart, E. Hänselmanns Verlag. 1889, S. 42. Der Verfasser heißt Manfred Dräxler. Sollte am Ende Ramsenthaler diesen Roman insgesamt irgendwo abgeschrieben haben???)

Agathe darf ich dieses Gedicht gar nicht erst zeigen. Sie mag meine Gedichte nicht, dachte sich Julius.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber (Forts.)

"Und außerdem", fuhr Agathe mit strenger Stimme fort, "sollst du dich ernsthaft mit deinen Weibergeschichten beschäftigen."
Julius war ganz zerknirscht und versprach, dies zu tun.
Zuhause angekommen wurde er allerdings erst einmal abgelenkt, und zwar durch einen Brief von einer amerikanischen Universität. Ein Professor Meyer schrieb:
"Sehr geehrter Herr Professor Schulze, zwar weiß ich, dass Sie die Universität verlassen haben, gleichwohl möchte ich Sie bitten, an unserem Projekt mitzuarbeiten. Es geht um die indogermanischen Wurzeln der Wagnerschen Frauengestalten usw."
Schon wieder rätselhafte Weiber, dachte sich Julius, freute sich aber, dass man zumindest in den USA an einer Zusammenarbeit mit ihm interessiert war. An der bayerischen Universität, an der er lange Jahre unterrichtete, hatte sich keiner um ihn gekümmert. Man hatte ihn, wie schon anfangs gesagt, für einen Spinner gehalten.
Er machte sich gleich eine Liste: Elsa, Isolde, Ortrud...
Seltsam, dachte er sich, mit diesen Namen gab es auch Frauen in meinem Leben. Ob da ein Zusammenhang besteht? Aber wer lange in Bayreuth lebt, wird nach und nach durch Wagnersches Gedankengut schleichend verseucht. Wenn die schöne Bäckerin einen fragt: Was solls denn heute sein? singt man automatisch: Nie sollst du mich befragen...

Montag, 4. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber (Forts.)

"Lass mich überlegen", murmelte Julius. "Ich könnte meine poetische Ader damit verbinden. Meine intimen Memoiren in 555 Limericks. Etwa so:
Die geile Gustel Wallenthein
war in der Nacht nicht gern allein.
Sie hat am Tresen
so Manchen aufgelesen:
ob blond ob braun ob groß ob klein.
"Hör auf meit dem Quatsch!" schrie Agathe. "Du musst dich ernsthaft mit deiner Vergangenheit beschäftigen! Aber ganz unter uns: Wer verbirgt sich hinter diesem Namen: Gustel Wallenthein?"
"Ich kannte eine, die hatte die selben Initialen. Ich war eines ihrer Opfer."
"Ach, du warst ein Opfer? Interessant!"
"Aber gewiss doch. Der Mann ist immer das Opfer!"

Samstag, 2. Oktober 2010

Professor Schulze und die Weiber

An dieser Stelle steht der folgende Vermerk in Ramsenthalers Manuskript:

- PROFESSOR SCHULZE UND DIE WEIBER
- Das wäre wohl ein besserer Titel
- Untertitel: Der erste Bayreuther Frauenroman –

Aber gleich geht’s weiter im Text:
Julius schwieg beleidigt.
„Außerdem“, fuhr Agathe fort, „Gertrude ist blond. Heute stehst Du doch mehr auf Frauen mit dohlenschwarzen Haaren?“
„Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frauen!“ trällerte Julius.
„Hör mit dem Gesinge auf! Und im übrigen hatte Gertrudes Vater dann doch nicht mehr einen so guten Ruf, nachdem er versucht hatte, seine Festspielkarten an einen kolumbianischen Drogenbaron zu verhökern. Zu Höchstpreisen, versteht sich!
So was kommt nicht gut in der Wagnerstadt.“
„Was soll ich nun tun?“ fragte Julius fast flehend.
„Ich hätte da einen Vorschlag: Schreib dir doch all deine Weibergeschichten von der Seele, so wie du eben über die Episode mit Gertrude berichtet hast. Du musst natürlich die Namen ändern, sonst gibt es ein Riesengetratsche in der Bayreuther High Society.“

Die Verwirrungen des Professors Schulze 9

„Ich habe Probleme mit Frauen.“ Julius flüsterte diese Worte.
„Ach, das ist ja ganz was Neues“, spottete Agathe.
„Du weißt nicht, wie das alles angefangen hat. Mit Gertrude. An einem Winterabend. Wir saßen am Kamin, die Winterhelle wich schnell der Dämmerung, wir horchten in die Stille. Wir saßen nebeneinander, unsere Hände hatten sich gefunden. Wir schwiegen. Es ist eine Eigentümlichkeit mancher Menschen, oftmals geradeaus auf ein Ziel loszusteuern und zu klären, was geklärt werden muss. Gertrude hatte diese Art von ihrem Vater geerbt, ihrem Vater, der als Rechtsanwalt und Stadtrat in Bayreuth einen guten Ruf hatte. Jetzt tat Gertrude, was getan werden musste, sie legte einfach ihren blonden Kopf an meine Schulter. Das bewog mich, über das blonde Haar zu streicheln, das sich so seidenweich anfühlte und so eigenartig duftete. Es war kein langer Weg von dem Haarestreicheln zum In-die-Arme-nehmen. Ganz von selbst bot sich mir der weiche rote Mund dar, und der erste Kuss, den Gertrude schenkte, war wie eine Erlösung. Alles Herbe, alles Beherrschte, alles Gestaute schwand wie im Zauberschlage. Gertrude schlang ihre Arme um meinen Hals, als wollte sie nur meine Nähe, nur meinen Mund, nur mich. Wir legten Wagners Tristan auf...“
„Halt!“ rief Agathe. „Da haben wir es doch schon. Du hattest es immer zu einfach mit den Frauen!“